73/2023 | Opferschutz und psychosoziale Beratung für kriegsgeflüchtete Frauen und Kinder aus der Ukraine

Wir beantragen:

1. Die Verwaltung berichtet im kommenden Beirat für Gleichstellungsfragen über die städtischen Erfahrungswerte und die Konzeption des Opferschutzes und der psychosozialen Beratung für kriegsgeflüchtete Frauen und Kinder, die sexuelle Gewalt erlebt haben.

2. Die Verwaltung gibt darüber hinaus Auskunft zu folgenden Anfragen:

a. Wie viele Fälle Opfer sexueller Gewalt sind unter den Kriegsgeflüchteten aus der Ukraine im Stadtgebiet Stuttgart bekannt? Wie viele betroffene Fälle sind Frauen und Kinder?

b. Welche niederschwelligen Angebote, psychosozialen Regelangebote sowie Begegnungs- und Teilhaberäume für kriegsgeflüchtete Opfer von sexueller Gewalt werden von der Stadt Stuttgart aktuell angeboten, finanziert bzw. gefördert?

c. In welcher Form werden Akteure wie Welcome Center Stuttgart, ehrenamtliche Unterstützerkreise und Kulturverbände aktiv von der Stadtverwaltung eingebunden?

d. Wie erhalten geflüchtete Frauen und Kinder, die sexuelle Gewalt erlebt haben, als besonders schutzbedürftige Personen in den Gemeinschaftsunterkünften der Stadt eine geschützte Unterbringung?

e. In welcher Form werden Sozialarbeiter*innen, Integrationsmanager*innen und städtische Mitarbeiter*innen, die Geflüchtete betreuen oder beraten, für die Thematik „Opfer von sexueller Gewalt“ sensibilisiert und qualifiziert?

f. Wie nutzt die Stadt Stuttgart Fördermittel des Landesförderprogramms „Soforthilfe für die Integration von Vertriebenen aus der Ukraine“ zur niederschwelligen psychosozialen Unterstützung von geflüchteten Frauen und Kindern?

Begründung:

Der Weg von Kriegsgeflüchteten ist im Kriegsgebiet und auf der Flucht von immenser Unsicherheit geprägt. Das Gefühl der Sicherheit ist für viele Geflüchtete, die in der Stadt Stuttgart ankommen, daher ein zentrales Bedürfnis. Dieses Sicherheitsbedürfnis hängt stark von den individuellen Erlebnissen im Kriegsgebiet und auf der Flucht ab.

Aktuellen Berichten der Vereinten Nationen zufolge bestehen Hinweise, dass sexuelle Misshandlungen durch den russischen Aggressor in der Ukraine systematisch als Kriegswaffe eingesetzt werden. Augenzeug*innen berichten über Vergewaltigungen. Sexuelle Misshandlungen sollen bewusst als Folterinstrument eingesetzt werden. Frauen sind dabei oft in einer doppelt betroffenen Rolle, da sie selbst und oder eigene Kinder Opfer sexueller Gewalt werden. Es wird sowohl berichtet, dass Kinder die sexuelle Misshandlung der Eltern als auch Eltern die sexuelle Misshandlung der Kinder miterleben müssen. Erschwerend kommt hinzu, dass Frauen mit Kindern oft ohne Begleitung aus der Ukraine fliehen müssen und auf dem Fluchtweg zusätzlichen Gefahren wie weiterer sexueller Gewalt oder dem Menschenhandel ausgesetzt sind.

In der Regel vergehen Wochen bis Monate, bis diese Frauen und Kinder überhaupt Zeit und einen sicheren Ort finden, um Kriegserlebnisse zu verarbeiten. Folgen von sexuellen Misshandlungen und Folter wie zum Beispiel posttraumatische Belastungsstörungen oder Depressionen bleiben über diese Zeit unbehandelt. Betroffene leiden unter Flashbacks, sozialer Isolation und Suizidgedanken. Viele der betroffenen Frauen und Kinder sind auf professionelle Hilfe angewiesen.

Die Stadt Stuttgart, die diese Frauen und Kinder unterbringt und betreut, nimmt hier eine wichtige Rolle ein. Den Ankommenden müssen vertrauensvolle Hilfestellungen und Schutzräume angeboten werden, so dass den Opfern von sexueller Gewalt die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben dauerhaft wieder ermöglicht wird.

Es bedarf einer sensiblen und individuellen Beratung und Betreuung durch geschultes Personal ohne Sprachbarrieren. Bestehende Beratungs- und Betreuungsangebote müssen auf die individuellen Bedürfnisse der aktuellen Fluchtgruppen und deren Kriegs- und Fluchterlebnisse ausgerichtet sein. Die Erstberater*innen müssen mit psychosozialen Regeldiensten vernetzt sein. Zudem sollte den betroffenen Personen zur Unterstützung und Selbsthilfe ein Zugang zu Begegnungs- und Teilhabeorten ohne Barrieren ermöglicht werden.